40 Tage lang dauert sie…die Fastenzeit. Eine Zeit, in der man verzichten sollte!? So jedenfalls sagt es einem nicht nur die Kirche, auch die Gesellschaft. Man beginnt Alkohol zu fasten und trinkt auf der nächsten Party dann doch ein Gläschen mit. Freitags kein Fleisch; man bemüht sich. Schließlich möchte man ja auch noch 3 Kilo verlieren. Doch am zweiten Tag der Diät sehnt man sich schon sehr nach Schokolade und Chips.So war das mit der Fastenzeit aber nicht gemeint. Die Wochen bis Ostern sind eine Zeit, in der man einmal innehalten sollte. Ziel ist es von fahrenden Zügen abzuspringen, nicht immer noch schneller zu rennen und neue Wege zu gehen. Genau dazu ermahnt uns Jesus: Er verlangt von uns Radikalität. Und zwar nicht brutale Gewalt, sondern das Gegenteil. Er fordert die Revolution der Liebe. Das soll uns in der Fastenzeit bewusst werden. Wir sehnen uns nach dem Osterfest, weil Gott an diesem Tag unter Beweis gestellt hat, dass die Liebe eben doch siegt. Jesus ging in den Tod um die Menschheit zu erlösen.
Und wirft man einen Blick auf die Welt von heute, dann ist sie wohl genauso erlösungsbedürftig wie vor 2000 Jahren. Wieder stehen die einen hier und die anderen dort. Parolen regieren in den Parlamenten. Vorurteile prägen unsere Gedanken. Heimat gehört anscheinend nur wenigen und für die anderen ist kein Platz. Menschen ertrinken in den Fluten, um irgendwo am anderen Ende der Welt eine Absage zu erhalten. Kinder sitzen weinend in zerbombten Häusern.
Als Martin Luther King 1963 von seinem Traum sprach, dass eines Tages Schwarze und Weiße gleiche Rechte haben und nicht mehr die Hautfarbe darüber entscheiden würde, ob man wer sei oder eben nicht; sodass die Sklaverei endlich und endgültig ein Ende habe, glaubten viele nicht, dass er je wahr werden würde. 2009 zog der erste schwarze Präsident ins Weiße Haus ein.
Wenn die UNO-Menschenrechtscharta am 10.Dezember diesen Jahres ihren 70 Geburtstag feiert, so muss dies Anlass sein, die Menschlichkeit hochleben zu lassen. Doch bei der aktuellen Situation fragt man sich wohl eher „Menschlichkeit, wo bist du?“ Nicht nur die Krisenschauplätze, die von Krieg und Terror gebeutelt sind, fragen das. Auch Europa; jede und jeder von uns muss sich diese Frage gefallen lassen! Gehen wir allzu leicht griffigen Slogans und einfachen Lösungen auf den Leim? Oder riskieren wir auch einmal einen Blick hinter die Fassade? 1989 schnitten Menschen mit Bolzenschneidern Löcher in Metallzäune und rissen Mauern ein. Ziehen wir wieder Stacheldraht hoch und zementieren Stein für ein Stein Grenzen in unseren Köpfen?
Max Mannheimer als Holocaust Überlebender, hat ganz oft, vor allem vor Jugendlichen gesprochen und ihnen von brennenden Büchern, marschierenden Braunhemden und einer menschenvernichtenden Politik berichtet. Dass tat er, weil er es als seinen Lebensauftrag ansah, dass so etwas nie wieder passieren dürfe. Darum mahnte er die Jugend, dass sie nicht verantwortlich seien für das, was in der Vergangenheit geschehen sei, aber dass sie alle die Zukunft in Händen hielten. Freiheit und Demokratie könnten nur geschützt werden, wenn es Menschen gäbe, die sich für diese unbezahlbaren Werte einsetzten. Auch der Selige Joseph Mayr Nusser begründete seinen Weg in den Tod, ähnlich wie die Geschwister Scholl: „Wenn nie jemand den Mut aufbringt, ihnen zu sagen, dass er mit ihren Anschauungen nicht einverstanden ist, dann wird es nicht anders.“ Dazu gehört es übrigens auch, dass man Wahlen ernst nimmt, sich mit den Aussagen der Parteien und Politiker/innen auseinandersetzt, aber noch viel mehr, dass man die Chance der Demokratie erkennt und hingeht!
Die Fastenzeit könnte die Gelegenheit bieten, einmal bewusst gegen den Strom zu schwimmen. Die Gesellschaft braucht ein klares „Ja“ für die Menschlichkeit. Sagen wir „Ja“ zu mehr Solidarität, zu mehr Hilfsbereitschaft, zu mehr Aufmerksamkeit, zu mehr Verständnis; zu so viel mehr, was das Menschsein ausmacht. Und sagen wir klarer „Nein“ zu Vorurteilen, zu einfachen Lösungen, zum Marktgeschrei, zu brennenden Fackeln, die wieder durch europäische Innenstädte ziehen. Zeigen wir der Unmenschlichkeit die rote Karte. Vielleicht ist es für uns die Gelegenheit, die kleine Welt vor unserer eigenen Haustür ein bisschen menschlicher, ein bisschen lebenswerter zu machen.